Donnerstag, 5. November 2009
Rede zur Grundsteinlegung am 1. November 2009
Ich begrüße zunächst die Architektin Anne Lampen und ihren Mitarbeiter York Arend, den Statiker Herrn Viereck, die Verkäufer des Grundstücks, Frau Parsow und Herrn Günther. Liebe Baugruppenmitglieder, liebe Angehörige, liebe Gäste!

Ich kenne mich nicht so aus mit Grundsteinlegungen, aber dachte mir: Goethe passt immer. Deshalb zunächst ein Zitat aus Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“:

"Der Bauherr, die Seinigen und die vornehmsten Gäste wurden eingeladen, in die Tiefe hinabzusteigen, wo der Grundstein, an einer Seite unterstützt, eben zum Niederlassen bereit lag. Ein wohlgeputzter Maurer, die Kelle in der einen, den Hammer in der andern Hand, hielt in Reimen eine anmutige Rede, die wir in Prosa nur unvollkommen wiedergeben können. „Drei Dinge“, fing er an, „sind bei einem Gebäude zu beachten: daß es am rechten Fleck stehe, daß es wohl gegründet, daß es vollkommen ausgeführt sei. Das erste ist eigentlich die Sache des Bauherrn; denn wie in der Stadt nur der Fürst und die Gemeine bestimmen können, wohin gebaut werden soll, so ist es auf dem Lande das Vorrecht des Grundherrn, daß er sage: hier soll meine Wohnung stehen und nirgends anders. … Das dritte, die Vollendung, ist die Sorge gar vieler Gewerke; ja wenige sind, die nicht dabei beschäftigt wären. Aber das zweite, die Gründung, ist des Maurers Angelegenheit und, daß wir es nur keck heraussagen, die Hauptangelegenheit des ganzen Unternehmens. Es ist ein ernstes Geschäft, und unsre Einladung ist ernsthaft; denn diese Feierlichkeit wird in der Tiefe begangen. Hier innerhalb dieses engen, ausgegrabenen Raums erweisen Sie uns die Ehre, als Zeugen unseres geheimnisvollen Geschäftes zu erscheinen. Gleich werden wir diesen wohlzugehauenen Stein niederlegen, und bald werden diese mit schönen und würdigen Personen gezierten Erdwände nicht mehr zugänglich, sie werden ausgefüllt sein.

Diesen Grundstein, der mit seiner Ecke die rechte Ecke des Gebäudes, mit seiner Rechtwinkligkeit die Regelmäßigkeit desselben, mit seiner wasser- und senkrechten Lage Lot und Waage aller Mauern und Wände bezeichnet, könnten wir ohne weiteres niederlegen; denn er ruhte wohl auf seiner eignen Schwere. Aber auch hier soll es am Kalk, am Bindungsmittel nicht fehlen; denn so wie Menschen, die einander von Natur geneigt sind, noch besser zusammenhalten, wenn das Gesetz sie verkittet, so werden auch Steine, deren Form schon zusammenpaßt, noch besser durch diese bindenden Kräfte vereinigt." So weit das Zitat.

Sehen wir uns die genannten drei Punkte, die „bei einem Gebäude zu beachten“ sind, näher an:

„… dass es am rechten Fleck stehe“

Hier spielt die Grundstücksfindung eine Rolle. Zunächst wurde das Grundstück von Anne Lampen „gefunden“ – so wie Kolumbus Amerika „entdeckt“ hat, genauso war es natürlich schon vor seiner Findung vorhanden, es stand bereits zum Verkauf. Danach kam Annette Martin hinzu, dann Birgit Knicker, Janine Schädler, schließlich Sabine Röder, und wir, Monika und ich, wussten eines Tages im Juni 2009 vor einem netten Frühstück mit Sabine und Jürgen noch nicht, dass wir nach diesem Frühstück Bauherren sein würden. Genau genommen haben also nicht wir das Grundstück gefunden, sondern es hat uns gefunden.

Das Grundstück hat eine Vergangenheit als Garten, ihm liegen die Freuden des Gartens und des Gärtnerns zugrunde: Ruhe, Gelassenheit, Entspannung – ein guter Grund für diesen Bau, und dazu noch ein jungfräulicher Grund: Ein Haus stand hier vorher wohl niemals. Mitten in der Stadt ist es ein richtiger Anfang, eine Chance für uns.

Die Straßennamen gehören zum „rechten Fleck“ dazu. Berkaer Straße – das muss man regelmäßig buchstabieren, wenige kennen die Straße oder den alten Badeort in Thüringen. Wir haben den Namen schon etwas bekannter gemacht, indem wir eine Internetseite mit dem Namen der Adresse eröffnet haben und unseren Baufortschritt in einem „Blog“, einem Internettagebuch dokumentieren. An weiteren Straßennamen sind mir aufgefallen: Sulzaer Straße, Kissinger Straße, Reichenhaller Straße, Tölzer Straße, Karlsbader, Franzensbader, Marienbader Straße – was ist diesen Orten gemeinsam? – Es sind Bäder, Kurbäder. Auch hier findet sich also ein Hinweis auf Wohlergehen und Gesundheit. Allerdings hat der, der eine Kur antritt, mit einer Krankheit zu tun, von der er genesen will. Aber sind wir nicht alle ein bisschen großstadtkrank und könnten hier Genesung finden?

„… dass es wohlgegründet sei“

Hierzu sind die tatkräftigen Bauleute gefragt. „Wohlgegründet“, dies erinnert mich an unseren gerade beendeten Aufenthalt auf der Insel Sylt. Dort ist nicht alles wohlgegründet: Häuser werden unterspült, fallen an Kliffkanten geradezu ins Wasser, werden überflutet, werden von Wanderdünen zugedeckt. Von einer Kirche wird berichtet, dass zunächst schon der Zugang von Treibsand versperrt war und die Besucher durchs Fenster einsteigen mussten, und schließlich waren die Kirche und der ganze Ort zugesandet und wurden aufgegeben. Dies alles mögen die Bauleute verhindern – obwohl es mir auch etwas unheimlich ist, dass wir uns mit den Kräften der Erde einlassen: Wir möchten unsere Heizungswärme aus der Erde ziehen. Mancher stellt sich die Frage, was denn mit der Erde passiert, wenn alle die Erdwärme daraus beziehen würden. Würde sie dann zu kalt? – Und wir möchten unser gesamtes Regenwasser auf dem Grundstück versickern lassen. Das klingt nach viel Wasser unterm und neben dem Haus. Unterspülen wir uns selbst? – Vermutlich nicht, aber wir lassen uns mit den Erdgeistern ein.

„… dass es vollkommen ausgeführt sei“

Das wünscht sich jeder. Aber wir haben inzwischen gelernt, dass Bauen ein fortwährendes Bewältigen von Krisen bedeutet. Man kann sich auch daran gewöhnen. Hier spielten eine Rolle: die Baugenehmigung und die Diskussion um Traufenhöhen und entstehende Dreiecke an den Traufen zu den Nachbarhäusern, das Staffelgeschoss, die Abgeschlossenheitsbescheinigung machte Probleme, Grundbucheintragungen, Teilungserklärung waren nicht unkompliziert, die Kreditierung der Baugruppe ist noch nicht gesichert, Baustrom war nur mit Hindernissen erreichbar, ja wir mussten diese schöne, stabile Kabelbrücke selbst kaufen, weil in ganz Berlin keine ausleihbar war – alle vorhandenen sind beim Flughafenbau Berlin-Brandenburg International im Einsatz –, ein Auto krachte in unsere Bauabsperrung und erlitt erheblichen Blechschaden – und alles dies lag noch jenseits des eigentlichen Bauens. Nach so vielen Verzögerungen und Unterbrechungen kann beim Bauen selbst ja wohl nur alles gut und reibungslos vor sich gehen, anders kann es gar nicht sein. Wir sind jedenfalls frohgemut, haben wir doch Anne Lampen und ihr Büro und vor allem unsere erfahrene Bauleiterin Birgit Knicker an unserer Seite.

Wir wollen jetzt den „Grundstein legen“ und dazu eine Kartusche befüllen: Pläne, eine Zeitung vom Tage, Münzen und anderes werden ins Dunkle gelegt, es ist eine Art Beerdigung. Etwas wird den Erdgeistern symbolisch geopfert und begraben, um diese gnädig zu stimmen. Früher kam bisweilen auch etwas Lebendiges als Opfer hinein. Birgit sagte schon vorab: Der Mops wird nicht angerührt. Alle Anwesenden haben netterweise schon Zettel mit guten Wünschen geschrieben. In den „Wahlverwandtschaften“ geht der Maurer unter den Anwesenden herum und sammelt Dinge ein. Ein Offizier schneidet Knöpfe von seiner Uniform. Weiter heißt es: „Die Frauenzimmer säumten nicht, von ihren kleinen Haarkämmen hineinzulegen; Riechfläschchen und andre Zierden wurden nicht geschont.“

Bevor Birgit nun herumgeht und Dinge einsammelt, wünschen wir uns: gutes Gelingen des Baus, Erhaltung der Gesundheit der Bauleute und Wohlergehen für die künftigen Bewohner.

Thomas Böhm-Christl